Ein paar Gedanken

... zum Thema Krise.

Jeder kennt Krisen.

Das können Unzufriedenheit mit der Lebenssituation, Trennung vom Partner, Arbeitsplatzverlust oder Krankheit sein. Krisen kommen, damit wir an ihnen wachsen und unseren Horizont erweitern. Manche bewältigen wir aus eigener Kraft. Wiederum andere sind so groß, dass wir nicht weiter wissen und Unterstützung brauchen.

Aus dem Griechischen (krino) abgeleitet, bedeutet Krise/Krisis: scheiden, auswählen, beurteilen, entscheiden. Krise steht für einen Wendepunkt, eine Phase der Entscheidung über ein Geschehen, in dem über Tod oder Leben, Krankheit oder Gesundheit, Sieg oder Niederlage, Verurteilung oder Freispruch entschieden wird.

In der Antike stand noch die Plötzlichkeit und Kürze einer Krise im Vordergrund. Heute im 21. Jahrhundert hat sich diese Sichtweise geändert. In der Medizin sowie in der Psychologie wurde erkannt, dass Krisen auch eine längere Zeit in Anspruch nehmen können, bis eine Wende eintritt.

Ebenso gibt es inzwischen die Erkenntnis, dass nicht jede Krise ein Übel sein muss. Es wird eher von Reifungskrisen gesprochen, die nicht krankhaft sind, sondern die wir brauchen, um ein zufriedenes Leben zu führen. Oder andersherum: Kaum eine Reifung geschieht ohne Krise.

Krisen treten in bestimmten Lebensaltern auf. In der Pubertät brauchen wir sie, um erwachsen zu werden, in dem wir uns von unseren Eltern abnabeln und uns auf den Weg in unser eigenes Leben machen, wie z. B. in einen Beruf, eine Partnerschaft und eine eigene Wohnung.

In der Lebensmitte, etwa um das 40. Lebensjahr herum, stellen wir uns häufig die Frage, warum wir unzufrieden sind, obwohl wir vieles, wie Beruf, Familie, Haus, Auto, Urlaub usw. erreicht haben. „Worum geht es eigentlich in meinem Leben, in meinen Beziehungen, in denen ich lebe?“ Was macht ein wirklich gutes Leben aus? Damit eng verbunden ist die Frage: „Wer bin ich?“

Hier spricht die Entwicklungspsychologie von phasentypischen Identitätskrisen, die wir durchlaufen, um gesund zu bleiben, um zu reifen und um unsere Persönlichkeit zu entfalten. Das ist vergleichbar mit der Häutung einer Schlange, die ihre Haut abwirft. Wir brauchen sie, um im Leben voranzukommen. Bleiben wir stecken, können wir krank werden.

Eine andere Art Krise ist die Akzeptanzkrise. Sie unterscheidet sich von der zuvor beschriebenen Krise, in dem sie keine Phase der Unsicherheit durchläuft. Die Entscheidung ist bereits gefallen, wie z. B. bei einer unheilbaren Krankheit oder dem nahen Tod. Es ist die schmerzhafte Realität, die bevorsteht, ohne dass wir etwas rückgängig machen können. Es geht einzig und allein darum, das Unabänderliche anzunehmen, ob wir einen Sinn darin erkennen oder nicht. Dafür brauchen wir Zeit, die Zeit der Krise, die unseren Verständnishorizont verändert und unsere Akzeptanz wachsen lässt.

Egal, welche Art Krise wir durchlaufen, immer kommt es zum Wandel. Altes, Gegenwärtiges und Neues geraten aneinander und reiben sich. Nichts ist mehr, wie es war. Alt bekannte Rezepte greifen nicht mehr. In diesem Übergang, der sich wie ein Niemandsland anfühlt, erfolgt die Trennung vom Alten. Vergangenes geht, Neues kann entstehen. Trotzdem versuchen wir häufig Krisen zu vermeiden. Doch können wir einer Krise nur schlecht aus dem Weg gehen. So schmerzhaft eine Krise ist, sie lässt uns reifen. Wir werden krisenfähig.

Ist sie erst einmal da, bleibt uns nur, mit ihr umzugehen, sie zu akzeptieren, auch wenn sie bedrohlich und angsterregend ist. Der Wunsch möglichst schnell etwas zu unternehmen „Dagegen muss man doch sofort etwas tun!“, ist verständlich. Doch wirklich heilsam ist es, eine Krise erst einmal sein zu lassen. Sie braucht Zeit, um bei uns anzukommen, damit wir etwas aus ihr lernen können. So machen wir unsere Erfahrungen. Wir brauchen Zeit, um mit ihr vertraut zu werden, sie bzw. wir uns selbst in ihr zu verstehen. Dabei finden wir unvermutete Türen, die sich uns öffnen, um den Weg herauszufinden oder die uns die Ausweglosigkeit bis zum bitteren Ende austragen lassen.

Es ist eine Zeit der Orientierungslosigkeit, der Selbstzweifel, der Unsicherheit. Unser Verständnis davon, wer wir sind und wie wir leben wollen, wird in Frage gestellt und wandelt sich.

Nach einer Krise sind wir gereifter. Das Wesentliche bleibt. Das Leben, wie es vorher war, verändert sich. Wir nehmen die Vergangenheit mit in das Neue, in die unbekannte Zukunft. Eine Umkehr zum Alten ist nach einer Krise nicht mehr möglich.